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Ein Besuch
Das größte Vorkommen der seltenen Schafrasse Heidschnucke ist die Lüneburger Heide, ein Naturschutzgebiet in Norddeutschland. Der Naturparkverein Lüneburger Heide besitzt 6 Herden mit ca. 2200 Schnucken. Mittlerweile gibt es aber auch diverse private Züchter in ganz Deutschland. Bei meiner Recherche fand ich einen Züchter in Süddeutschland, 1 Stunde von meiner Heimatstadt Tübingen entfernt, mit Blick auf den Naturpark Südschwarzwald.
Ende Februar machte ich mich auf den Weg zu Marcel Tietze, dem Heidschnuckenschäfer aus Zimmer ob Rottweil. Am Rande der Schwäbischen Alb ist es noch kalt, alles braungrau vom gerade geschmolzenen Schnee. Ich treffe Marcel Tietze und seine Frau am gepachteten Schafstall am Ortsrand von Zimmern. Kennengelernt haben wir uns auf Instagram – manchmal ist Social Media wirklich nützlich. Herr Tietze hat meiner Bitte um einen Besuch sofort zugestimmt und meinte, dass er sich immer freut, wenn er über seine Arbeit mit den Tieren sprechen kann.
Tietze ist hauptberuflich Tischler. Als Kind besuchte er oft den Schäfer im Nachbardorf, der auch 2 Heideschafe in seiner großen Herde hatte. „Die Hörner, die grauen Haare, ich fand sie cool. Sie sind einfach nicht normal und ich mag, was nicht normal ist.” Dann entschied er sich vor 10 Jahren, Heidschnucken selbst zu kaufen. Angefangen hat er mit 3 Grauhorn-Heidschnucken, jetzt sind es 42 und ein Schwarzkopfschaf.
Sein Ziel ist mindestens eine Herde von 100, um alle Naturschutzgebiete in der Umgebung bearbeiten zu können. Auch mit „nur“ 42 Schafen hat Tietze viel zu tun. Der Vorteil ist aber, dass die Heidschnucke ein Ur-Schaf ist, also nicht überzüchtet und daher sehr robust und weniger anfällig für Krankheiten ist. Außerdem ist die Schnucke sehr genügsam. Auch der karge Boden auf einem ehemaligen Truppenübungsplatz wird von den Tieren gut genutzt. Tietze sieht seine Arbeit hauptsächlich als Landschaftsgestaltung.
Mit der Heidschnucke ist wenig Geld zu verdienen. Das Haar der Schnucke ist zu stark, um daraus Wolle zu machen, selbst das Filzen ist schwierig. Für dünne Wolle, wie zum Beispiel Merinoschafe aus Australien, gibt es in Deutschland kein Klima.
Vor ein paar Tagen wurden die Schafe geschoren und die Wolle verschenkt. Der Fleischanteil der Schnucke ist gering, im Gegensatz zu anderen hochgezüchteten Schafrassen, die zum Teil so breit gezüchtet wurden, dass sie bei einer Rückenlandung nicht mehr aus eigener Kraft aufstehen können.
Das Fleisch der Schnucke ist jedoch von sehr hoher Qualität. Es hat einen besonderen Wildgeschmack, schmeckt weniger stark nach Schaf als das Lamm anderer Schafrassen und ist sehr mager und eiweißreich. Heidschnucke ist eine Spezialität in der Slow-Food-Küche. Die Freilandhaltung macht das Lamm zu einem perfekten Bio-Produkt.
Wir treffen die Heidschnucken im Schafstall, wo sie den Winter verbringen. Theoretisch könnte das Schaf mit seinem dicken Fell bei Schnee und Kälte draußen bleiben, doch das hat schon viele besorgte Anwohner verunsichert. Tietze verzichtet deshalb lieber auf die schwierigen Diskussionen und lässt die Küken überwintern im Stall. „Alle schreien nach artgerechter Tierhaltung, aber niemand weiß, was das eigentlich bedeutet.“ Wir sind uns schnell einig, dass einiges an Wissen verloren gegangen ist und eine Art Entfremdung stattgefunden hat. Die Hirtengilde ist vom Aussterben bedroht, und Schafherden sind perfekt für die Erhaltung von Naturschutzgebieten und ein wichtiger Bestandteil eines ausgewogenen Ökosystems.
Gerade Schäfer wie Tietze mit viel Engagement und Verständnis für Nachhaltigkeit sind wichtig und sollten unterstützt werden. Dabei steht nicht die Gewinnmaximierung im Vordergrund, sondern die Leidenschaft für die Natur und das ganz besondere Urtier. Im Gegensatz zu anderen Schafhaltern fällt die Lammzeit nicht mitten in den Winter, damit die Lämmer zu Ostern geschlachtet werden können, sondern der natürliche Rhythmus bleibt erhalten.
Wir sehen einige hochträchtige Mutterschafe und es kann nur Tage dauern, bis die ersten Lämmer geboren werden. Die männlichen Lämmer werden erst Ende Dezember geschlachtet, die weiblichen bleiben Teil der Herde. „Für mich ist es auch kein schöner Tag, wenn ich die Schafe dem Metzger übergebe. Aber das ist der Lauf. Der Weg zum Metzger beträgt nur 10 Minuten, damit die Tiere so wenig Stress wie möglich haben. Der Metzger schneidet das Fleisch für mich und ich bekomme es vakuumverpackt.” Das Fleisch kann dann direkt bei Tietze gekauft werden. Der Preis liegt bei etwa 25-30 Euro / Kilo. Milchprodukte wie Schafskäse werden nicht hergestellt, da die Heidschnucke weniger Milch produziert als andere hochgezüchtete Schafrassen und diese den Mutterschafen zur Aufzucht der Lämmer überlassen wird. Die Felle gehen in eine kleine Gerberei im Schwarzwald, wo sie noch mit Alaun, also ganz ohne Chemie, gegerbt werden.
Im Gegensatz zu vielen größeren Gerbereien bekommt man dort genau die Häute, die man geliefert hat. Auch das traditionelle Gerberhandwerk ist in Deutschland vom Aussterben bedroht. Viele Häute und Felle gehen ins Ausland, wo sie oft unter schlechten Bedingungen mit chemischen Zutaten kostengünstig aufbereitet werden. Eine Rückverfolgung zum Tier ist in diesem Fall meist nicht mehr möglich. Da der Verkauf der Felle nicht viel Gewinn bringt, würden manche vielleicht auf das Gerben verzichten. „Die Idee, das Tier zu schlachten und die Hälfte wegzuwerfen, fände ich schrecklich.“ Frau Tietze bestätigt meine Herangehensweise an den Pelzeinsatz. Tietze fasst seinen Idealismus perfekt in einem Satz zusammen: “Am Ende verdienst du nicht viel, aber ich mache es gerne.” Zum Abschluss besuchen wir eine der Wiesen, auf denen bald allerlei Kräuter und Wildpflanzen wachsen werden. Und dann wird es Zeit, die Heidschnucken wieder an die Arbeit zu schicken.
Ein inspirierender Nachmittag mit dem Schäfer von Zimmern ob Rottweil.
Fotos: Theresa Schorer, Agnes Schorer, März 2021